Pressespiegel
Wie ein Wiesbadener mit seinen Bauten Brasilien prägte
Wiesbadener Kurier 2.6.2024 - Christine Dressler
„Migration mal anders“: Eine neue Ausstellung in der Wiesbadener Kunstarche befasst sich mit dem Wiesbadener Architekten Theo Wiederspahn, der 1908 nach Brasilien auswanderte.
Wiesbaden. Vor Ort erinnern nur noch die Villen Lessingstraße 13, Lortzingstraße 7, Martinstraße 16 und Victoriastraße 18 an den Wiesbadener Architekten Theodor Wiederspahn. Wie detailreich, harmonisch und unglaublich produktiv das Genie Historismus und Jugendstil mit neoklassizistischen Elementen in Brasilien verbreitete, belegt jetzt „Migration mal anders“ in der Kunstarche. Sie, das Deutsche Forschungszentrum Historismus, die TU Darmstadt und die Universität Porto Alegre zeigen rund 150 Exponate zu Wiederspahns Werk. Die Ausstellung erstreckt sich über drei Räume. Originale aus dem Nachlass ergänzen Zeichnungen und 3D-Modelle von Studierenden, Fotografien, Postkarten und persönliche Dinge von Dokumenten wie dem Maurer-Lehrbrief vom 14. Juli 1895 und Korrespondenz bis zu Wiederspahns Tagebuch, Tuscheglas, Feder und Löschpapierwiege.
Bei der Vernissage beleuchteten die TU-Professorin Elke Reichel die Umsetzung durch die Studierenden und Dr. Vera Grieneisen die Exponate aus Porto Alegro. In Wiederspahns Vita führte Dr. Meinrad von Engelberg ein. Der Wiesbadener lehrt an der TU, engagiert sich mit dem Forschungszentrum für den Erhalt des Historismus und leitet an den Sonntagen 30. Juni und 14. Juli jeweils um 15 Uhr zweistündige Rundgänge zu Wiederspahns Bauten vor Ort. Das Programm ergänzt außerdem ein Vortrag Grieneisens am Freitag, 12. Juli, um 18 Uhr zu den wichtigsten der mehr als 500 Gebäude in Brasilien, mit denen der Architekt das Land prägte.
Anfang 1878 als jüngstes von zehn Geschwistern geboren, lernte er von 1892 bis 1894 das Maurerhandwerk, besuchte parallel die Bau- und Kunstgewerbeschule, bildete sich bis 1896 an der Königlichen Baugewerbeschule in Idstein weiter und begann im selben Jahr für die väterliche Firma Villen in Wiesbaden zu bauen. Ab 1905 in Saarbrücken tätig, ließ sich der vierfache Vater 1908 scheiden und wanderte mit seiner zweiten Frau nach Porto Alegre aus, wo ein Bruder seit 1904 lebte und er ein großes Büro mit vielen Angestellten betrieb. In der Hauptstadt und dem ganzen Bundesstaat Rio Grande do Sul baute Wiederspahn bis 1949 für meist deutsche Auftraggeber, bevor er 1952 starb.
Bis 25. Juli ist „Migration mal anders“ in der Kunstarche, Im Rad 42, zu sehen.
„Migration mal anders“ – Ausstellung über den 1908 nach Brasilien emigrierten Wiesbadener Architekten Theo Wiederspahn in der „Kunstarche“ eröffnet
Pressemitteilung Kunstarche Wiesbaden e.V.
Vor 200 Jahren gab es eine große Auswanderungswelle aus Deutschland nach Brasilien. Daran erinnert in diesem Jahr unter anderem eine Briefmarke. Einer unter Hunderttausenden war der Wiesbadener Architekt Theo Wiederspahn, der als junger Mann nach Porto Alegre auswanderte, weil er bessere berufliche Chancen für sich sah. An ihn erinnert stellvertretend für viele andere eine spannende Ausstellung in der Wiesbadener „Kunstarche“, wo man sich um Wiesbadener Künstler:innen-Nachlässe kümmert und sie dem Vergessen entreißt. Die Ausstellung mit zahlreichen Architekturzeichnungen, Fotos und 3-D-Modellen wurde von Studierenden aus Porto Alegre und von der TU Darmstadt mit unter Leitung von Prof. Elke Reichel realisiert. Am 2. Juni wurde sie in der Kunstarche eröffnet. Dr. Meinrad v. Engelberg führte kurz ins Werk Wiederspahns ein, der in Brasilien noch in den 30er Jahren historisierende Bauten errichtete, unter anderem eine Kopie des Wiesbadener Hauptbahnhof-Turms für das örtliche Postamt.
Prof. Dr. Elke Reichel aus Darmstadt berichtete davon, wie sie mit ihren Studierenden die Ausstellung, die auf den Arbeiten der Studierenden aus Brasilien basiert, konzipiert und erweitert hat. In zahlreichen Videokonferenzen zwischen Brasilien und Deutschland sei das Konzept der Ausstellung und der umfangreiche Katalog dank vieler Sponsoren entstanden. Dr. Vera Grieneisen, die selbst nach Brasilien ausgewandert ist, erzählte mit sichtlicher Faszination von ihren Recherchen zur Biographie Wiederspahns, der zunächst noch in Wiesbaden einige Villen erbaute und dann aber in Porto Alegre zur Hochform auflief: Dort gibt es Hunderte seiner Werke. In der damals regen, aktiven deutschen Community traf er sich mit anderen Auswanderern in Clubs, deren Häuser er teilweise selbst entwarf.
Der Zweite Weltkrieg bedeutete eine Zäsur für die Deutschen in Brasilien. Wiederspahn zog sich zurück und war im großen Stil als Imker aktiv. Sein letztes Werk war ein Heim für Leprakranke. Über aufwendige Recherchen, auch mit Nachfahren Wiederspahns, hat Dr. Grieneisen zahlreiche Dokumente gefunden und mit ihren Studierenden aufgearbeitet, so dass ein interessantes Lebensbild dieses Wiesbadeners entstanden ist. Der der Kunstarche verbundene Künstler Bernd Brach versprach bei der Vernissage noch, mit seiner Zeichengruppe ein Wandbild zum Thema für die Kunstarche zu erstellen. Die Vorsitzende der Kunstarche, Felicitas Reusch, zeigte sich dankbar für die Zusammenarbeit vieler Institutionen und Unterstützer, die zusammenarbeiteten, um diese große und hochinteressante Ausstellung zeigen zu können.
Ein informativer Katalog ist erhältlich, in dem nicht nur auf Leben und Werk Wiederspahns, sondern auch auf den Kontext der Auswanderung ausführlich eingegangen wird. Außerdem gibt es ein Rahmenprogramm mit Führungen, Vorträgen und Rundgängen. Näheres unter www.kunstarche-wiesbaden.org.
Die Ausstellung dauert bis zum 25. Juli und ist in der Kunstarche, Im Rad 42 (im Wiesbadener Stadtarchiv) Dienstags bis Freitags 9.3o - 12.3o Uhr, Mittwochs zusätzlich 15.oo - 18.oo Uhr zu sehen.
Verleihung des städtischen Kulturpreises an die Kunstarche Wiesbaden im Rathaus-Festsaal
Wiesbadener Kurier 7. November 2022
Von Viola Bolduan
Wiesbaden. Viel Beifall gab's und auch manch Fähnchen schwingen. Das Logo der Kunstarche sollte sichtbar sein im Festsaal des Rathauses zur Verleihung des Kulturpreises (genauer "Preis zur Förderung des kulturellen Lebens der Landeshauptstadt Wiesbaden") an den Verein, der sich dem Nachlass Wiesbadener Künstlerinnen und Künstler widmet. Und wie viele Mitglieder er doch hat sollte demonstriert werden. Es sind 200. Nicht alle sind zur Feierstunde anwesend, schließlich waren auch andere Gäste geladen und willkommen. Aber doch in vielen Stuhlreihen stehen sie zum Akt der Verleihung auf und schwenken ihr Fähnchen zur Gratulation an Kunstarchen Vorsitzende Felicitas Reusch und ihren Stellvertreter Bernd Brach: Eine fantasievolle Idee der agilen Noah-Nachfahrin neben allem Verwalten, Recherchieren, Präsentieren, und Publizieren künstlerischer Nachlässe, wofür der Verein Freitagabend ausgezeichnet wurde.
Gitaristin Yuliya Lonskaya umrahmt die Verleihung.
Bergrüßung und Ansprache finden zuvor statt: und noch davor, zwischendrin und zum Abschlus klingt das Gitarrenspiel der renommierten Musikerin Yuliya Lonskaya mit stupender Technik im Saiten- und Tempowechsel, samtweich heller Stimme zu lateinamerikanischen Rhytmen.
Zu den Stimmen, die sprechen gehört die des Oberbürgermeisters Gert-Uwe Mende (SPD), der willkommen heißt und die Bedeutung des zu verleihenden Kunstpreises erklärt: Seine Vergabe spiegele die künstlerische Vielfalt, würdigte fachliche Kompetenz und nachaltiges Engagement. Diesmal eben die Arbeit der "einzigartigen" Instituion der ehrenamtlich arbeitendenden Kunstarche. Kulturdezernent Axel Imholz (SPD) betont das Miteinander kunstgeschichtlicher Arbeit und Teilhabe an der aktuellen Kunstszene im Wirken des Vereins und hebt das Persönliche hervor: " Ohne Sie ( Felicitas Reusch ) wäre die Kunstarche nicht da, wo sie ist." Und über sein Manuskript hinaus sichert er eine räumliche Erweiweitrung der Kunstarche im Haus des Stadtarchivs als "realistisches Ziel 2023" zu. Die Stadt danke für das "großartige Engagement" mit ihrer Preisvergabe. Und eigentlich feiere die Stadt sich selbst, kommentiert in freier Rede Laudator Peter Forster, Kustos im Landesmuseum, und beglückwünscht Wiesbaden umgekehrt zu ihrer Kunstarche. Wie sollte denn das Landesmuseum städtische Kunst sichtbar machen, wenn sie sie nicht hat? Der Verein Kunstarche aber hat. Er hat gerade sein Zehnjähriges gefeiert - Forster hätte sich dessen Arbeit für das kulturelle Gedächtnis der Stadt schon vor 100 Jahren gewünscht. Ihre zehn Jahre aber kann die Kunstarche nachvollziehen und stellt sie in Powerpoint Präsentationen ( exemplarisch vom ersten KH Buch-Nachlass über die Rekonstruktion der "gruppe real" bis zur Errinnerung an Wiesbadens frühere Werkkunsschule) dem Laudator zur Verfügung. Museumsmann Forster: "Wir haben die Wiesbadner Künstler nicht gepflegt - aber die Kunstarche hat", beneidet den Verein um den freien Eintritt zu seinen Vorträgen und wünscht weiterhin viel Erfolg. Erfolg haben jetzt auch die vielen Fotografen, die sich vor den offiziellen Verleihungsakt drängen. Der Applaus ist kräftig und lang. Hände wedeln mit Fähnchen. Zum Dank an die Unterstützung seitens der Stadt, insbesondere des Kulturamts und des Stadtarchivs lächelt Vorsitzenden Felcitas Reusch, und Bernd Brach strahlt. Der erkrankte Kunstarchen-Mitbegründer Arnold Gorski grüßt vom Foto. Der Oberbürgermeister lädt zu anschließendem Gespräch, nachdem Yuliya Lonskaya ein kleines Vögelchen hat fleigen und singen lassen.
"Das ist eine Stadt der Maler"
Warum die Kunstarche im Jubiläumsjahr mit dem Wiesbadener Kulturpreis 2022 ausgezeichnet wird
Wiesbadener Kurier 22.Oktober 2022
Von Brigitta Lamparth
Wiesbaden. Es ist der renommierteste kulturelle
Preis den Wiesbaden zu vergeben hat - und in diesem Jahr geht er an die
Kunstarche. Am 4. November wird die Institution mit dem "Preis zur
Förderung des kulturellen Lebens"ausgezeichnet. Der Kulturpreis ist mit
5000 € dotiert und wird an Künstlerinnen, Künstler oder Einrichtungen
vergeben, die sich in besonderer Weise um das kulturelle Leben in
Wiesbaden verdient gemacht haben. "Die Kunstarche hat einen Blinden
Fleck in Wiesbaden besetzt", erklärt der Kulturdezernent Axel Imholz
(SPD) zu den einstimmigen Entscheidungen der Jury. Die Arche kümmert
sich um die Nachlässe der Wiesbadener Künstlerinnen und Künstler und hat
bisher mit dieser Sammlung und Gästen über 40 Ausstellungen an Ihrem
Standort präsentiert. Der Verein, vor zehn Jahren gegründet, kann sich
nicht nur über die Ehrung, sondern auch über das Preisgeld in Höhe von
5000€ freuen. "Das werden wir vorerst beiseitelegen. Wir hoffen auf eine
Verschönerungskur für unseren Ausstellungsraum", sagt die 1.
Vorsitzenden Felicitas Reusch, die die Arche vor zehn Jahren zusammen
mit Arnold Gorski und Wolf Spemann gegründet habe. Im Ausstellungsraum
hänge noch ein großes Vierkantrohr einer ehemaligen Lüftungsanlage unter
der Decke, "hoffentlich entfernt die Stadt diese Anlage die schon seit
Jahren nicht mehr funktioniert".
Egon Altdorf mit der Metall-Plastik, "Wächter der Gestirne" von 1957.
Es gibt noch weitere Pläne: "Wir würden gerne mit der Gemäldesammlung umziehen in einen eigenen Depotraum." Die Kunsthistorikerin wurde gerade als Vorsitzende wiedergewählt, zweiter Vorsitzender ist Bernd Brach. Beide kuratieren die Ausstellungen der Kunstarche. Und die leidet unter Platznot. "Wenn die Stadt das Untergeschoss saniert, dann kann das Stadtarchiv dorthin umziehen. Dann wird für uns ein Raum im Parterre frei. Vieleicht würden wir unten auch einen Depotraum bekommen." Aber es gehe nicht nur darum, die Nachlässe zu verwahren, sondern Sie zu zeigen und zu erforschen. Dazu hat Felicitas Reusch den Terminus "Kunstgeschichte Wiesbaden" eingeführt. "Das war war wagemutig von mir, weil es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr solche geografisch eingegrenzten Soziotope gab." Heute zeige unter anderen das Museum Giersch, wie sinnvoll eine solche Aufarbeitung sein kann. Was macht die "Wiesbadener Kunstgeschichte"nach Ihrem Verständnis aus? Was ist das Prägnante? " Wenn wir uns die Kunst in Wiesbaden nach dem zweiten Weltkrieg anschauen, dann lohnt es sich diese Maltradition zu erforschen. Auch begründet von Vincent Weber, dem Leiter der Malklasse an der Werkkunstschule." Die war im heutigen Kunsthaus angesiedelt und ist eine Legende - Als Ausbildungsstätte und Talentschmiede. Von Vincent Weber erbt die Kunstarche übrigens ein kleines Konvolut vermutlich zwölf Arbeiten. Was hat sie außerdem noch dem Vergessen entrissen? "Die Gruppe Real, den Bildhauer Arnold Hensler und jetzt Egon Altdorf, den wir gerade zeigen." Auch der Einfluss von Christa Meoring sei wichtig gewesen. Im Rückblick sei sie eine konservative Malerin gewesen, aber sie habe in Wiesbaden auch viel bewegt und angeregt."Und sie spiegelt auch das konservative gesellschaftliche Leben der Stadt Wiesbaden wieder."
Aber es gab auch ganz andere Kunst: Fluxus zum Beispiel. "Von Fluxus haben wir gar nichts gesammelt, da haben ja auch das Museum und Michael Berger große Bestände." Sie habe schon geschaut, wo die Nische ist. Und das sind beispielsweise Künstlergruppem wie die "Gruppe Real". Maler wie Franz Theodor Schütt und Erika Kohlhöfer Hammesfahr."eine großartige Position". sagt Felicitas Reusch. "Wir bekommen das gesamte grafische Werk von Felix Hammesfahr (Hamsvaar). Das wir es noch nicht gezeigt haben, lag nur an Corona." Reusch, die für Ihre Recherchen die Datenbank des Wiesbadener Tagblatts nutzt, will sich jezt der Geschichte von 1919 bis 1933 der einstigen Kunstgewerbeschule in der Wellritzstraße widmen. Und weiter dafür werben, auch junge Kunsthistoriker für die Arche zu gewinnen: "Wie schön wäre es, wenn die Stadt für die Leitung eine bezahlte Stelle einrichten würde."
Auszeichnung für die Kunstarche
Verein verwaltet seit zehn Jahren Künstlernachlässe - Stadt würdigt das Engagement
Frankfurte Rundschau 25. Oktober 2022
von Andrea Rost
Von einem "blindem Fleck" in Wiesbadens Kulturleben spricht Stadtrat Axel Imholx (SPD). Das Gründerteam der Kunstarche habe ihn vor zehn Jahren erkannt und seither eine überaus erfolgreiche Tätigkeit im Zusammenhag mit den Nachlässen lokaler Künstlerrinnen und Künstler entfaltet. Zahlreiche Ausstellungen seien konzipiert, Kataloge und Bücher herausgegeben worden. Das Engagement solle nun besonders gewürdigt werden, kündigte der Kulturdezernent an: Die Wiesbadener Kunstarche erhält am 4. November den Kulturpreis der hessischen Landeshauptstadt. 5000 Euro wandern dann in die Kasse des gemeinnützigen Vereins, dessen Mitglieder alle ehrenamtlich arbeiten. Allen voran die langjährige Vorsitzende Felicitas Reusch, die bereits 2011 die Künstler Arnold Gorski, Wolf Spemann und Johannes Ludwig bei der Gründung unterstüzte. Die Anfänge waren nicht ganz einfach. Erst 2012 stellte das Kulturamt eigene Räume zur Verfügung. Sie liegen gleich neben dem Stadtarchiv, das Im Rad 42 beheimat ist. " Hier ist alles barrierefrei", sagte Frau Reusch. Das gelte in jeglicher Hinsicht. Wer Ausstellungen in der Kunstarche besuche, müsse nicht nur keine Stufen überwinden, sondern auch keinen Eintritt bezahlen. Unkompliziert könnten Kunstwerke erworben werden. " Wenn jemanden ein Bild gefällt, das zum Verkauf steht, kann er es bezahlen und mitnehmen", sagte die 74-jährige Kunsthistorikerin. Heute wie damals stehen die Inobhutnahme und das Aufarbeiten von Nachlässen Wiesbadener Künstlerinnen und Künstler im Mittelpunkt. Dabei gehe es oftmals um Kunstschaffende, die nicht in der ersten Reihe standen, deren Werke aber durchaus bedeutsam seien für die Kunstgeschichte des "Soziotops Wiesbaden", sagte Felicitas Reusch. So besitzte die Kunstarche etwa 600 Arbeiter des Buchillustrators Heiner Rotfuchs, Nachlässe im Zusammenhang mit der Werkkunstschule, die 1949 bis 1970 in Wiesbaden bestand, außerdem Fotografien von Anni Hensler Möhring Entwürfe ihres Ehemanns, des Bildhauers Arnold Hensler. Eine Porträtplastik Henslers kam sogar aus der Schweiz ins Archiv der Kunstarche. Eine Erbin hatte im Internet über den Verein gelesen und schickte Frauenbüste nach Wiesbaden. In drei Depoträumen lagern Gemälde, Grafiken, Skulpturen aus Holz und Metall sowie Keramiken. Für die grafischen Arbeiten wurden spezielle Metallschränke angeschafft. "Wir bräuchten viel mehr Platz", sagte Frau Reusch. Denn das Intresse von Kunstschaffenden und ihren Nachfahren, ganze Lebenswerke der Kunstarche zu übergeben, sei groß. "Sie freuen sich, dass wir die Arbeiten und wertschätzen." Mehr als 40 Ausstellungen hat der Verein seit seiner Gründung bereits organisiert. Aktuell läuft eine Retrosprktive zu Egon Altdorf. Zu sehen sind großformatige Fotografien, Holzschnitte, Skulpturen und Bilder des Künstlers, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährt. Altdorf hatte lange Jahre sein Ateiliers in der Stadt. Kunstwerke von ihm befinden sich in mehreren Wiesbadener Schulen. Auch die Glasgestaltung der Neuen Synagoge stammt von ihm.
Kunst der inneren Erneuerung - Die Kunstarche zeigt das Gesamtwerk von Egon Altdorf
Wiesbadener Kurier 11.10.2022
von Viola Bolduan
Wiesbaden. Linkerhand der Künstler bei seiner Arbeit, rechts Fotos der sichtbaren Gestaltung von Räumen und Skulpturen und die Hängung durchsetzt mit biographischen Angaben und dem Text des Sternen- Gedichts auf dem Relief an der Helene-Lange-Schule- das Entree zur Ausstellung der Werke Egon Altdorfs in der Kunstarche im Haus des Stadtarchivs leitet anschaulich und farbig hin zu dessen Holzschnitten, kleinen und großen Skulpturen in den hinteren Sälen. Druckfrisch liegt der Band "Egon Altdorf 1922 - 2008. Die Kunst der inneren Erneuerung: Skulptur, Grafik, Glasfenster, Lyrik" auf dem Tisch, als das Haus sich zu Eröffnung füllt. Es gilt einen der bedeutensten Nachkriegskünstler zu ehren, der von 1946 an in Wiesbaden lebte und arbeitete und eben auch sichtbares in der Stadt hinterlassen hat, beispielsweise in der Ausgestaltung der hiesigen Synagoge, die Dorothea Angor als kulturpolitsche Sprecherin der Grünen in ihrer Begrüßung ebenso fasziniert von Altdorfs Holzschnitte und dessen pädagogischen Engagement als Dozent und gesellschaftliches als Mitbegründer der "Gruppe 50" sowie des BBK Wiesbaden (Berufsverband Bildender Künstler). Dass die Werke nun öffentlich gezeigt werden können, verdankt sich der nimmermüden Initiative von Felicictas Reusch, Vorsitzende der Kunstarche, deren Verein nun auch den Kulturpreis der Stadt in diesem Jahr erhalten wird. Felicitas Reusch heißt willkommen, wird über Altdorfs Holzschnitte und die "Kraft der inneren Erneuerung" sprechen und später auf Rundgängen auch so manchen Gästen die Exponate erklären. Ein lebhaftes " Good morning" kommt von Dorian Altdorf-Crone, dem Sohn aus London, der seit seiner Kindheit in England wohnt, den Vater erst mit 18 Jahren in Wiesbaden kennen und so zu schätzen gelernt hat, dass er nach seinem Tod zu Hause seine verstreuten Werke sammelte. In dieser Kooperarion der Kunstarche mit dem Egon Altdorf Estate in London öffnet sich der Fundus für Wiesbaden zum ersten Mal in dieser Ausstellung, und auch Sohn Dorian sieht die Objekte in ihrem klar strukturierten Zusammenhang mit frischen Augen. In kurzer, in schönstem Britisch gehaltener Rede errinnert er an das harte Leben des Vaters kurz nach dem Krieg, seine dennoch positive Haltung, seine Leidenschaftlichkeit, über die er weniger sprach als sie in seiner Abreit gestaltete. Unter welchen Einfluss der junge Egon Altdorf geriet, als er sich in den 50er Jahren als Wettbewerbsteilnehmer in England aufhielt, führt die britische Kunsthistorikerin Judith LeGrove aus. In klarem deutsch stellt sie Bezüge her zwischen Altdorfs eigenem Stil und den Arbeiten des englischen Bildhauers und Glasmalers Geoffrey Clarke (nachzulesen in der umfangreichen und reich bebilderten Pubklikation). War der Dank an die Austellungsinitiatorin Felicitas Reusch bereits blumenbestückt, so auch wiederum ihrer an LeGrove, mit ihrer gemeinsam Herausgeberin des ALtdorf Buchs. Und dann interpretiert Felicitas Reusch" die Kunst der inneren Erneuerung", indem Egon Altdorf als "Gezeichneter" wiederum selbst zeichnend Schmerz und Leiden in Christus-Darstellungen nachvollzieht und im Holzschnitt "Der Verlorene Sohn" doch eine unerwartete Versöhnung der Kriegsgeneration mit Welt und Gott in Aussicht stellt. Religiös fundiert ist Altdorfs grafische und sktupturale Arbeit mit Szenen aus dem Alten Testament, Engelflügelmotiv mit nach oben gerichteten Augen. Über 30 Exponate in drei Räumen zeigen Egon Altdorf als in seiner bedrängten Zeit nach dem Krieg nachdenkilchen und schöpferischen Künstler, seinen Lebensweg nachgehend bis zur Metallskulptur im Garten seines Hauses an der Freseniusstrßae 17, die er "Flügel der Wege" nennt.
Forschung über Wiesbadener Kunst
Die Kunstarche feiert am Freitag zehnjähriges Bestehen - ein Blick zurück auf die Geschichte dieses Archivs
Wiesbadener Kurier 5.6.2022
Von Brigitta Lamparth
Wiesbaden. Die Idee ist so gut, dass man sich heute noch wundern kann, warum nicht schon viel eher jemand darauf gekommen ist: Die Gründung eines Archivs mit Werken von Wiesbadener Künstlern. Entwickelt wurde sie von drei Künstlern und einer Kunstexpertin. Arnold Gorski, Wolf Spemann und Johannes Ludwig trafen bei Frau Felicitas Reusch auf offene Ohren. "Die drei wollten ein Nachlassverwaltung gründen aber hatten damals keinen Raum gefunden" , erinnert sich die Mitbegründerin und Vorsitzende der "Kunstarche Wiesbaden e.V. " im Gespräch mit dieser Zeitung an die Anfänge. Erst, als die Arthothek auf den Schulberg umzog gab es eine Chance. Und seitdem gibt es also die "Kunstarche Wiesbaden" neben dem Stadtarchiv ( Im Rad 42). Und genau dort wird an diesem Freitag um 16 Uhr das zehnjährige Bestehen gefeiert. Damals wurde zunächst ein Verein gegründet "auch um zu testen ob es einen Bedarf gibt." Den gab es: Heute hat der Verein 200 Mitglieder. Zur Gründungszeit war Felicitas Reusch gerade 63 geworden, und hatte Zeit und Lust sich um die Arche zu kümmern:" Es gab ja von der Stadt keine Stelle dafür." Seitdem macht sie alles ehrenamtlich. "Eine Nachlassverwaltung ist natürlich keine Kunstmesse, zu der Leute kommen, die Kunst kaufen wollen. Deshalb habe ich sofort gesagt: Wir müssen Ausstellungen machen - nur darüber bekommen wir Besucher." Längst ist die Kunstarche ein arrivierter Ausstellungsort. Seit der Gründung wurden dort 40 qualitätvolle Präsentationen gezeigt. Die erste war von Heiner Rothfuchs den Buchillustrator. Die populäre Schau war ein Besuchermagnet. Und die Wiesbadener Künstler entdeckten, dass es da eine Gelegenheit und einen Ort gab, auszutellen. Daher haben sich die Ausstellungen anders entwickelt als gedacht: In vielen interessanten Gruppenausstellung begegnet man der ganzen Breite der Wiesbadener Kunstszene. Viele Künstler haben in dieser Zeit Werke in die Kunstarche gegeben. Neben diesen "Vorlässen" gibt es auch zahlreiche Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern, die aufgearbeitet werden. " Wir haben einen sehr bedeutenden Nachlass von Max Bollwaage bekommen, der als gefragter Grafiker für Wiesbadener Verlage tätig war", erzählt Felicitas Reusch. Es gebe bestimmte testamentarische Übergaben. "Manchmal bekommen wir bei Haushaltsauflösungen gerade mal ein Plakat - aber das schließt dann vieleicht eine Lücke." Oft gibt es Schenkungen die Erben abgeben. Dieses Festhalten und Dokumentieren der Wiesbadener Kunstgeschichte sei für sie sehr spannend:Das ist ein Soziotop, viele Kreise die sich schließen." In Wiesbaden sei die Kunstgeschichtsschreibung lange auf Alexjei von Jawlenski fixiert gewesen, "daneben hatte sich ein luftleerer Raum gebildet." Roman Ziegelgänsberger, Kustos für die Klassische Moderne am Landesmuseum, habe sie auch sensibilisiert für die Maler und Grafiker aus der Generation Jawlenskys. Wie erforscht sie denn die kunsthistorischen Spuren? Oft im Zeitungsarchiv: Das Wiesbadnener Tagblatt ist ja seit 1900 digitalisiert, " das ist eine wesentliche Fundgrube - ohne die Tageszeitungen könnten wir die Kunstgeschichte bis in die 60er Jahre nicht erforschen." Diese Forschung hat auch Eingang in zahlreiche Publikationen gefunden. Im Reichert Verlag sind immer wieder neue Bände entstanden.
Genehmigung einer Stelle als Wunsch an die Stadt
Und welche Ziele hat sie selbst noch in der Kunstarche? "Ich werde mich selbst im Herbst noch einmal zur Wahl stellen - und möchte in dieser Zeit die Geschichte der einstigen Wiesbadner Kunstgewerbeschule in der Wellritzstraße aufarbeiten von 1919 bis 1933." Und in nächster Zeit ? Als nächstes folge die Retospektive für die Malerin Brigitte Zander und im Herbst auch eine große Ausstellung zu Egon Altdorf gemeinsam mit seiner Nachlassverwaltung in London. Und was wünscht sie sich "Zu einem mehr Raum - ich hoffe, dass das Untergeschoss saniert wird, und, dass die Stadt eine Stelle für eine Kunsthistorikerin oder einen Kunsthistoriker aussschreibt." Das wäre auch auf lange Sicht eine lohnende Aufgabe.
Schwarze Bäche, gleißender Rhein - Die Kunstarche Wiesbaden zeigt die sehenswerte Gruppenausstellung "Aqua - wie Wasser zur Kunst wird"
Wiesbadener Kurier Samstag 14.5.2022
von Brigitta Lamparth
Wiesbaden. Das Wiesbadener "Jahr des Wassers" strömt durch nur so durch die Stadt. Auch die Kunstinstitutionen lassen sich mitreißen. Neben dem Landesmuseum, das jetzt eine große Jugendstil-Schau zeigt ( siehe unsere Besprechung in dieser Ausgabe auf der Kulturseite ) ist es auch die Kunstarche die sich dem nassen Element widmet. Mit sehr interessanten Arbeiten wie die Kunstausstellung jetzt zeigt. "Mein erster Gedanke war, Axel Schweppe an Board zu holen", erzählt der Wiesbadener Künstler Bernd Brach, der die Austellung kuratiert hat. In der Errinnerung hatte er dabei die Aktion im Biebricher Wasserturm beim Kunstsommer 1989, bei der Schweppe schmelzende Eisklumpen besondere Klänge entlockte. Also fragte er bei ihm an, ob er noch Fotos von damals habe. Hatte er - und Brach damit den Ausgangspunkt für die Ausstellung "Aqua - wie Wasser zur Kunst wird". 19 Künster sind dabei. Und einer unterschiedlicher als der andere. Sehr schön wird das deutlich gleich im ersten Ausstellungsraum. Da hängen die duftigen wunderbaren Seerosenbilder von Julia Belot an der Wand, die nicht nur an laue Sommerabende am See, sondern auch an Monet denken lassen - davor baumeln fließende Formen aus Holz von Titus Grab von der Decke, die wie ein anderer Zustand des Wassers wirken. An einer anderen Wand mäandern sich in einem Fries von Karin Hoerler Freibadbesucher in Endlosschleife.
Im Trüben fischen und in den Wasserfall tauchen.
Die schöne Schau zeigt aber auch Arnold Gorskis atmossphärisch gut eingefangene Seelandschaften. Die abstrakten "Rheinwege" von Petra Ehrnsperger fischen im Trüben, während Bettina Kykebusch den "Schwarzbach" im Nerotal gerade noch so aus dem Farbrausch erkennbar strömen lässt. Auch Eberhard Lellek hat sich dem Schwarzbach gewidmet. Wie in einem Wasserfall ergießen sich die Farbschleier in den großformatigen Bildern von Katja Grandpierre. Christiane Steizt ist mit einer besonderen Interpretation des Themas vertreten: Ein Papierschnitt, der mit Autolack bezogen ist und ein sonnenbeschienenes Gewässer sein könnte. Reflexionen auch bei Ricarda Peters: Sie hat ein Video mit dem Wasser von Venedig gedreht, das in den langsamen Sequenzen wie Malerei wirkt. Das passt gut zur Fotografie von Reinhold Fischenich, der auf sehr malerische Weise der Rheinfähre "Tamara" ein Denkmal setzt. Sieglinde Hoch steuert ebensfalls Fotografie bei: In Schwarz-Weiß hat sie Impressionen der Bretagne eingefangen, in der man die spritzende Gischt fast zu schmecken meint. Die Gegenlicht Farbfotografien von Monika Houck im Winter am Biebricher Rheinufer aufgenommen- verflüssigen fast das Licht selbst und ziehen aus alltäglichen Szenen eine besondere Atmosphäre. Von Lörincz ist eine ebenso magische Überfahrt zu sehen - und ein Selbstportrait, mit dem Wasser bis zum Hals. Im duftigen Aquarell hat Johannes Ludwig das Rote Meer gebannt, während Heinz-Rudi Müller in seinem Aquarell der Küste fast tektonisch zusammensetzt. Und auch Bernd Brach selbt zeigt einen großen Fries mit Wachs auf Presspappe: das Mittelmeer als Mahnung. Denn Lichter sind Suchscheinwerfer aus der Sicht eines Bootsflüchtlings.
Video für Glas, Figur und Gips
Gedenkabend zum 100. Geburtstag des Bildhauers Egon Altdorf in der Kunstarche
Wiesbadener Kurier 9. April 2022
von Viola Bolduan
Wiesbaden. Video und Power Point, biografischer Abriss und Bilderklärung, Dank und Vorrausschau - zum abwechslungsrechen Abend im Gedenken an Egon Altdorfs 100. Geburtstag am 4. April in der Kunstarche sind viele gekommen. Vor vollem Haus begrüßt Leiterin Felicitas Reusch insbesondere den aus England angereisten Sohn Dorian Crone-Altdorf, der für die im Herbst geplante große Egon-Altdorf-Ausstellung Leihgaben zur Verfügung stellen wird. Beispile aus dem Werk des Bildhauers, Holzschnitzers und Glasgestalters, der von 1948 bis 2008 in Wiesbaden gelebt und gearbeitet hat, werden in klug sortierter Auswahl von Felcitas Reusch in Bild und Wort veranschaulicht, des Wiesbadener Fotografen Patrick Bäumls Video über die von Altdorf geschaffene Innenausstattung der hiesigen Synagoge gezeigt. Jacob Gutmark aus dem Vorstand und Steve Landau, Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde, machen diesen Rundgang am Abend auch noch mal mit. Egon Altdorf hatte hier Gebet und Symbolbilder aus der Thora in gläserne Farben und Formen umgesetzt, mit dem Ergebnis "übernatürlicher Stimmung", wie Reusch überleitet zum eigenen Vortrag, als die Natur des Computers es zulässt. Als Projektion empfängt Egon Altdorf umgben von Modellen aus Pappe und Gips in seiner Wohnung in der Freseniusstraße 17, wo nach seinem Tod 2008 im Garten die Installation "Flügel der Wege" aufgestellt werden sollte. Für den öffentlichen Raum hat er Figur (Gymnasium am Mosbacher Berg) und Relief (Helene-Lange-Schule) geschaffen. "Ich dachte das sei ein Engel", errinnert sich die Kunstarchen-Leiterin an ihre dortige Schulzeit. In ihrem Vortrag beont sie "Leichtigkeit" als charakeristisches Merkmal von Altdorfs früheren Skulpturen. Sie zeitgt Beispiele seiner figurativen Arbeiten, das prämierte Werk vom "Unbekannten politschen Gefangenen", Plakatarbeiten bis zum Holzschnitt "Der verlorene Sohn", der in der Nachkriegszeit 1948 als politischer Kommentar gelten kann. Wenn der heimkehrende Sohn sich in letzter Konsequenz die Maske abreißt, ist es die der politschen Verblendung. Vis-á-vis der Abbildung behalten viele Besucherinnen und Besucher am Abend ihre als Virenschutz auf.
Vorfreude auf die Ausstellung im Oktober
Für diesen Vorgeschmack auf die Egon-Altdorf-Herbstausstellung in der Kunstarche dankt Sohn Dorian Crone-Altdorf auf Englisch und nicht nur das. Er lobt Reuschs "visionary courage" (visionären Mut) für eine solche künftige Schau, die im Anschluss ins Henry-Moore-Institut im englischen Leeds wandern soll. Die Ausstellung begleitend wird im September eine Publikation mit kunstwissenschaftlichen Exegesen zu Altdorfs Schaffen herauskommen, um deren Subskription am Abend gebeten wird. Dafür und für Gespräche gibt Reusch den Abend frei. Er wurde eifrig genutzt in Vorfreuden auf die Herbst-Ausstellung eines Wiesbadner Künstlers, der "die Herzen der Menschen berührte", wie Sohn Dorian errinnerte und weiß: "He was a sensitive man" ( Er war ein feinfühliger Mann). Er selbst ist noch auf der Suche- nach bisher in Museen oder auf dem Kunstamarkt nicht auffindbaren Abreiten des Vaters. "Glücklich und stolz" freilich ist er schon jetzt, dass das Egon-Altdorf-Projekt mit dem Wiesbadener wie auch dem angeschlossenen internationalen Team durchgeführt werden kann. Am 9. Oktober ist nicht nur er wieder da, wenn die Ausstellung eröffnet wird.
Wenn die Maske zum Bikini wird - Wie reagieren Künstler auf die Pandemie?
Die Schau "Corona Echo" in der Kunstarche gibt einen Überblick
Wiesbadener Kurier 19.11.2021
Von Brigitta Lamparth
Wiesbaden. Am Anfang sagt Bernd Brach, sei das "wie Neuschnee" gewesen: so ruhig entschleunigt still. Aber schon bald im ersten Lockdown begann der Wiesbadener Künstler unruhig zu werden. Und diese Unruhe setzte er mit Arbeiten um, die auf diese historisch neue Situation reagierten. Ging es anderen Kollegen genauso? Brach fragte nach, und die Reaktion brachte ihn auf die Idee, eine Schau über das Thema zu organisieren. Jetzt ist "Corona-Echo" in den Räumen der Kunstarche zu sehen ( bis 20.Februar 2022).
Es sind Künstler der Arche unter den 26 Beteiligten, aber auch Vertreter des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK) Wiesbaden. Finanziert wird die Schau, die heute eröffnet wird, von einem Mitglied der Kunstarche. Ihm sei wichtig gewesen, dass sich alle mit dem Thema Corona befassen, sagt Kurator Brach: "Das Echo auf unsere Anfrage war enorm". Gottfried Pott hat den Ausstellungstitel wörtlich genommen: Seine Zeichnung mit Prägedruck prangt auch auf dem Katalog. Neben solchen ikonografischen Aspekten gibt es auch ganz andere Perspektiven auf das Thema. Bei Karin Hoerler sind es ironische: Sie hat sich in Selbstportraits immer wieder mit Maske inszeniert - mit erstaunlichen Variationen vom Bikini bis zum Strumpfband. Das Maskengrün taucht auch in den stürmischen Bildern von Petra Ehrnsperger auf, bei Sabine Hünecke werden Masken zu raffinierten, wie hinterleuchteten Wandobjekten. Und Iris Kaczmarcyk greift die einfach im Straßenbild liegengelassenen Masken auf, fotografiert sie und setzt sie zu einem Maskenteppich zusammen - eine großartige Idee. Elke Bergerin kombiniert figürliche Fragmente mit Maskenfrottagen. Kinetische Skulpturen baut Kai Wolf aus Fundstücken: Hier wird die Energie in die Zange genommen, dazu blasen die "Posaunen von Jericho". Eine besonders lyrische Arbeit steuert Walter Gebert bei: "Auf halbwegs sicherem Grund" zeigt er auf einem Holzfragment ein Paar, das einen Rückzug in der Beziehung gefunden hat. Bei Gabrielle Hattesen wird das eher zu einer Spannung zwischen den Figuren, Ulla Reis beschäftigt sich auch mit ihren Gestalten mit dem Tod. Anna Bielers Mensch versteckt sich ängstlich unter einem Tisch. Viele Leute in den Straßen und doch Einsamkeit: Das strahlen die Gemälde von Arnold Gorski aus. Die Malerin Krista Kadel dagegen findet in Platanen ein Symbol für Optimismus. Die Fotografien von Andreas Koridass lenken den Blick auf die Natur. Bei Jochen Schnepf tentakelt die Natur hervor. Susan Geel verbindet Menschen mit Spinnen zu Mutationen. Auch in feinen gedrechselten Holzskulpturen von Werner Eberle wuchert es aus glatten Oberflächen. Sehr düster zeichnet Thomas Duttenhoefer ein Zeitbild - wie eine Antwort auf Picassos "Guernica". Bernd Brach selbst zeigt seine bandagierten Figuren, die beim Lesen innehalten - großformatig umgesetzt in sinnlicher Enkaustik. Bei Ingrid Heuser gibt es nur noch die äußere Hülle: Die der Penelope, die Immer wieder das gewebte auftrennt - eine Gestalt in der Warteschleife. Das passt auch gut zum Thema. Petra von Breitenbach hält in Gips weiße Kinderkleidung fest, verbunden mit frischen Rosen - assoziativ. Das gilt auch für die Fotografien von Frank Deubel mit Akten in Folie verhüllt. Renate Reiffert geht wie in einem Aquarium auf Tauchstation, während Peter Bernhardt einen apokalyptischen Reiter auf eine scheinbare Idylle loslässt. Roman Mikos befragt einen Helden nach seinen seinen Werten, und Ute Wurtinger erschafft eine Art bildnerisches Tagebuch. So vielfältig kann ein "Corona-Echo" sein.
„In Wiesbaden“ von Monika Houck
Wiesbadener Kurier 17. November 2021
Von Anja Baumgart-Pietsch
WIESBADEN - Ein Bildband über Wiesbaden, aber ein ganz spezieller: Das ist „In Wiesbaden“ von Monika Houck. Sieben Jahre lang streifte die Fotografin mit der Kamera durch die Stadt, nun ist ein aufwendig gestaltetes Buch daraus geworden. Einen Teil der Bilder kann man gerade in der „Kunstarche“ im Stadtarchiv sehen.
Monika Houck, gebürtig aus dem Ruhrgebiet, lebt seit 2012 in Wiesbaden, war viele Jahre in der Logistikbranche tätig und hat als „zweite Karriere“ den Weg der Fotografie eingeschlagen. Besonders angetan haben es ihr Wiesbadener Künstlerinnen und Künstler, über Christiane Erdmann, Udo W. Gottfried und Reinhard Spiegel hat sie bereits Bildbände veröffentlicht. So entstand auch der Kontakt zu Felicitas Reusch und der „Kunstarche“, ein Verein, der sich um Wiesbadener Kunstschaffende und deren Werk kümmert.
Ausschließlich Fotos in Schwarz-Weiß
Daher ist es auch sehr passend, dass sie nun ihre Wiesbaden-Fotos hier ausstellt. Man kann darin „mit den Augen spazieren gehen“, entdeckt auch als Einheimischer viel Neues – viele Menschen, viele Ein-, Durch – und Ausblicke. Monika Houck legt sich keine Beschränkungen auf, fotografiert Gebäude, Natur, Menschen, Straßen. Und sie fotografiert ausschließlich schwarz-weiß. Dazu nutzt sie eine Spezialkamera, entzieht nicht nachträglich die Farbe am Computer, sondern nimmt die Bilder gleich in dieser Weise auf. Es ist eine Leica Monochrom, eine digitale Kleinbildkamera, die ausschließlich über einen Schwarzweiß-Sensor mit beeindruckender Klarheit verfügt.
Die grafische Wirkung – das Spiel mit Licht und Schatten ist so ein ganz Besonderes – erzeugt eine ganz andere Art von Aufmerksamkeit. In dieser Ausstellung kann jeder wohl mindestens ein Lieblingsbild entdecken: Momentaufnahmen aus der Wellritzstraße, vom Fastnachtsumzug, von Menschen im Park, bei Festen wie „Wiesbaden tanzt“ – derzeit Reminiszenzen an Zeiten, in denen solches noch möglich war und Hoffnung, dass diese einmal wiederkehren.
Peter Forster, Kurator am Landesmuseum, schlug in seiner Ansprache bei der Vernissage den Bogen zu legendären Fotografen wie Edward Steichen und August Sander, die ebenfalls mit fotografischen Langzeitprojekten diese Kunstrichtung beeinflussten. Monika Houcks fotografisches Werk stehe dem kaum nach, sagte Forster. „Wir denken in Bildern. Fotos werfen Fragen auf.“ Monika Houck lenke ebenso wie die genannten Fotokünstler den Blick auf die Vielschichtigkeit, hier auf die der Stadt Wiesbaden und ihrer Menschen. Es sind oft keine auf den ersten Blick „schönen“ Bilder, die Menschen sind keine Models, sondern solche, denen man auf der Straße eben begegnet. Sie sind bei der Arbeit zu sehen, sie haben Spaß bei Veranstaltungen, sie treffen, freuen, entspannen sich.
Die Straßenszenen sind ebenso vertraut und durch die Distanz des Objektivs doch wieder etwas fremd: Schaufenster im Westend, Schneegestöber am Kochbrunnenplatz, nassglänzender Asphalt der Taunusstraße. Einen großen Raum nehmen auch hier Künstler und Künstlerinnen ein, zum Beispiel in der Walkmühle, wo Monika Houck viele Atelierbesuche gemacht hat. Die Bilder erzählen Geschichten, regen die Vorstellungskraft an: Hundertmal gesehene Motive wie das Nerobergtempelchen oder die Staatskanzlei haben tatsächlich noch neue Seiten. Und so kann auch Peter Forster schon voraussagen, dass dieser Bildband vielleicht einmal zum begehrten Wiesbaden-Geschenk werden könnte. Die Ausstellung gibt einen ersten Appetithappen.
Der Tod als Schlafes Bruder
"Kunstarche", Ausstellung und Buchpublikation würdigen Bildhauer Emil August Hopfgarten
Wiesbadener Kurier 9.Juli 2021
Von Volker Milch
Wie lassen sich aus so harten Materialien so weiche Gesichtszüge formen? Der vor 200 Jahren geborene nassauische Hofbildhauer Emil Alexander Hopfgarten war zweifelos ein Meister seines Fachs und hat eine doppelte Würdigung durch den Wiesbadener Verein "Kunstarche" verdient: eine bis vorraussichtlich Ende September laufende Fotoausstellung in den Räumen des Stadtarchivs und ein Geburtstagsbuch, für das die Kunstarchen-Vorsitzende Felicitas Reusch zusammen mit Margot Kleeund Werner R. Berendt verantwortlich zeichnet. Ein Hauptwerk Hopfgartens ist ein Grabmal, mit dem Herzog Adolph von Nassau 1848 den Bildhauer beauftragt hatte. Der Herzog stellte dem Künstler die Mosburg im Biebricher Schlosspark als Atelier zur Verfügung. Der Sarkophag seiner früh verstorbenen Gattin Elisabeth, einer russischen Großfürstin, ist in der russisch-orthodoxen Kirche auf dem Neroberg zu sehen. Fotos des Grabmals und der wie im Schlaf hingestreckten Schönen mit den weichen Zügen sind Teil der Ausstellung und finden sich auch in der reich illustrierten Buchpublikation, die im Reichert Verlag erschienen ist. Die Meisterschaft im Umgang mit dem Material kennzeichnet auch den zarten Blütenkranz auf dem Kopf der Elisabeth:"Sie stirbt nicht als Herzogin sondern naturverbunden als schönes Wesen", sagt Felicitas Reusch beim Treffen in der Ausstellung, deren Fotos unter anderem Patrick Bäuml zu verdanken sind. Im Grabmal erkennt die Kunsthistorikerin die klassische Auffassung vom Tod als Bruder des Schlafs wieder und zitiert Mathias Claudius: "Sei guten Muts! Ich bin nicht wild,/sollst sanft in meinen Armen schlafen." Die Milde im Grundzug des Wesens des 1821 in Berlin geborenen und 1856 in Biebrich gestorbenen Bildhauers kennzeichnet auch das neben dem Grabmal bekannteste Werk Hopfgartens: Christus und die vier Evangelisten als marmorne Kolossalfiguren im Chorraum der Marktkirche. Der frühe Tod hinderte ihn an der Vollendung des herzoglichen Auftrags, einem "Geschenk seiner Hoheit" für den Landesdom: sein Gehilfe Scipione Jardella setzte die Modelle in die Tat um."Christus geht in die Gemeinde und nimmt Sorgen entgegen", kennzeichnet Reusch die zentrale Figur."Es geht immer um Milde, Frieden und Harmonie." Nach Studienjahren in Italien - sein Onkel Emil hatte in Rom eine Werkstatt - kam Hopfgarten 1844 nach Berlin zurück und traf dort "auf einen sehr religiös bestimmten König Wilhelm IV. der ein Interesse daran hatte, seinen Thron christlich zu fundieren". Für die Kapelle des Berliner Schlosses schuf Hopfgarten die Figur des Propheten Jonas. Die Reste des zerbombten Schlosses wurden 1950 gesprengt. Den Krieg überstanden hat der Apostel Jacobus für St.Jacobi in Berlin-Kreuzberg. Für Hopfgartens Werk mit der mutmaßlich bewegtesten Geschichte muss man ins russische Tula fahren, einer 5000000 Einwohner-Stadt südlich von Moskau. In das dortige Regionalmuseum hat es, wie eine Recherche im Auftrag der "Kunstarche" ergeben hat, einen marmornen Merkur verschlagen: der Gott mit dem Flügelhelm spielt auf der von ihm erfundenen Leier. Die Signatur weist als 1844 in Rom entstanden aus. Der preußische König hatte sie erworben und im Grottensaal des Marmorpalais aufgestellt."Typisch Hopfgarten" ist für Felicitas Reusch der versunkene Blick des Gottes:"Der ist ganz glücklich mit seiner Erfindung."
Trotz aller Widrigkeiten
Eine Ausstellung in Wiesbaden beschäftigt sich mit Hiobsbotschaften
Sonntags Zeitung 1. November 2020
Von Anja Baumgart-Pietsch
Wiesbaden. Im Alten Testament behielt Hiob trotz allem Furchtbaren das ihm widerfuhr, unerschütterlich sein Gottvertrauen. Künstler können davon auch ein Lied singen. Hiobsbotschaften erreichen uns momentan täglich. Sie erzählen vom Wüten der Pandemie, vom Prostest Unbelehrbarer, aber auch von anderen Katastrophen die Mensch und Natur anrichten. Das Wort ist zum geflügelten Begriff geworden, aber wer war dieser Hiob, an den es erinnert? Er ist eine alttestamentarische Figur, dessen Gottesfurcht von Gott selbst mit schweren Prüfungen herausgefordert wird, weil Satan sie bezweifelt. Hiob hält alles aus, verliert Familie und Besitz, wird krank - aber bleibt trotzdem fromm und treu, egal was Frau und Freunde ihm sagen. Am Ende wird er belohnt und erhält mehr, als er je hatte. Eine Parabel, die viel und oft diskutiert wurde und nun eine thematische Klammer zu einer Gruppenausstellung im Wiesbadener Stadtarchiv bildet: "Hiobsbotschaften" heißt die Schau, die von der "Kunstarche" organisiert und von der selbst teilnehmenden Künstlerin Gabrielle Hattesen kuratiert wurde. "Man könnte meinen, wir hätten es mit Corona-Zeit begründet, aber die Idee entstand lange davor", berichtet Hattesen. Das Motiv Gottvertrauens trotz aller Widrigkeiten, des Festhaltens an Überzeugeungen trotz Angst und Schmerzen und Kommunikation mit vielen anderen hat zahlreiche Künstler und Künstlerinnen inspiriert, die sehr unterschiedlich mit den Motiven umgegangen sind. Zu sehen in den grozügigen Räumen des Stadtarchivs in der Straße Im Rad sind BIlder, Skulpturen und Objekte von 15 Künstlerinnen und Künstlern, alle aus Wiesbaden. Das ist das besondere an der Arbeit des Vereins "Kunstarche": Der 2011 von den Künstlern Arnold Gorski, Wolf Spemann und Johannes Ludwig gegründete Verein will speziell Wiesbadener Kunst fördern, erhalten, erschließen und ausstellen und verwaltet beispielsweise zahlreiche Nachlässe. Man verfügt über ein großes Archiv. Gabrielle Hattesen konnte daher auf dieses, aber auch auf Werke aktuell produzierender Koleginnen und Kollegen zurückgreifen und hat eine abwechslungsreiche Schau organisiert, die sich dem Thema aus unteschiedlichen Richtungen annähert.
Schwer auszuhaltende Geduld
Dabei ging es nicht nur um das Aushaltens Hiobs angesichts seiner Prüfungen, sondern auch um das Aushalten jener, die diese Geschichte lesen."Die Geduld des Gottesfürchtigen ist beim Lesen schwer auszuhalten", schreibt Museumsdirektor Andreas Henning in seinem Vorwort zum Katalog."Künstlern ist diese Geste zutiefst vertraut. Sie stehen ständig vor der Herausforderung, ihr Material auszuhalten, um im Gestaltungsprozess zu Stimmigkeit zu gelangen."Felicitas Reusch, Vorsitzende der "Kunstarche", wurde von einem Bild angeregt:"Angst" von Felix Hamesvaar. Es entstand schon 1985 und zeigt das Bild eines von Entsetzen gezeichneten Mannes, zu dessen Füßen eine bekannte Boulervardzeitung liegt- täglich liefert sie Hiobsbotschaften. Seitdem sind noch viele Kanäle hinzugekommen, die uns täglich 24 Stunden lang mit solchen Mehr-oder-weniger Neuigkeiten bombardieren.
Gabrielle Hattesen hat Hamsvaars großflächiges Bild in eine Nische für sich alleine plaziert. Bis man es findet, ist man zum Beispiel schon an äußerlich glatten, innen aber schwarz versengten Holzgefäßen von Werner Eberle vorbeigegangen, an zwei zarten Gaze-Kleidern von Sandra Heintz, die darauf in blutroter Farbe Verbote geschrieben hat, die Taliban afgahnischen Frauen erteillten. An Birgid Helmys Terrakotta Kindern, die sich mit Euthanasie auseinandersetzen. An Hattesens eigenem Objekt "still I rise", mit dem sie die afroamerikanische Dichterin Maya Angelou mit ihrem trotzigen Aufstand zitiert. An Emad Korkis' "Banished from Eden", ein Bild das später auch noch einmal in einer filmischen Arbeit aufscheint. Und am Beitrag des Stadtarchivs, das zum Beispiel an Alexei von Jawlensky erinnert, der seine eigenen Hionsbotschaften zu verarbeiten hatte: die Krankheit seiner Hände, angesichst derer er dennoch das Malen nicht einstellte und einige seiner eindrucksvollen Kunstwerke schuf. Die Arbeiten laden zur Reflexion und Diskussion ein. Das erleichtert nicht nur der informative Katalog, sondern auch Veranstaltungen im Rahmenprogramm.
Wenn uns das Leben prüft
"Immer wieder Hiobsbotschaften": Die Kunstarche zeigt eine Schau, die in die Zeit passt
Wiesbadener Kurier 16.Oktober 2020
Von Brigitta Lamparth
Wiesbaden. Der Titel klingt aktuell:"Immer wieder
Hiobsbotschaften" ist die Ausstellung in der Kunstarche überschrieben.
Ein Projekt, das Kunstarchen-Mitbegründerin Felicitas Reusch aber schon
seit ihrem 14. Lebensjahr umtreibt: "Das ist mein Lebensthema" sagt die
heute 72-Jährige. Immer wieder aufzustehen nach Schicksalschlägen.
Ausgelöst
wurde es damals von Oskar Kokoschka. Der berühmte expressionistische
Maler hat sich aber nur einen Aspekt der Leidensgeschichte Hiobs
herausgegriffen für seine kraftvollen Zeichnungen:Den Konflikt von Mann
und Frau. Kokoschka selbst hat diese Blätter der jungen
Kunstbegeisterten damals vorgelegt. "Er lebte am Genfer See. Meine Tante
auch - sie war die Witwe von Dirigent Wilhelm Furtwängler. Kokoschka und
er hatten in Salzburg zusammen gearbeitet." Die Begegnung mit dem Maler
war für sie ein Schlüsselerlebnis. Und mit der Ausstellung zum Thema
Hiob schließt sie so einen Kreis.
Reusch reichert sie aber nicht nur aus dem Bestand
der Kunstarche an, in der Nachlässe von Künstlern der Region gesammelt
werden, sondern hat auch die Wiesbadener Künstlerin Gabrielle Hattesen
gebeten, hiesige Kollegen ihrer Wahl dazu einzuladen. So ist die
sehenswerte Schau auch ein Brückenschlag über Generationen.
Mireille
Jautz greift dieses Thema direkt auf mit ihren Porträts einer älteren
Dame. "Hiobsbotschaften", Unglücksnachrichten, die über Rechtschaffene
hereinbrechen - das bewegt auch Fee Kempf in ihrem gleichnamigen Bild.
Die Verhärtung der Gesellschft thematisiert Emad Korkis. Birgid Helmy
setzt sich in neuen Plastiken mit dem Thema Eutanasie auseinander,
Ingrid Heuser spürt Gewalt und Verwüstung nach, Roman Mikos wirft die
Menschen im bunten Spielcasino auf sich selbst zurück. Sandra Heinz
bringt die Verbote für Muslime als Schriftmuster auf Kleidung. Nora
Katthöfer arbeitet sich mit ihren sehr feinen, spielerischen
Papp-Ausrissen an menschlichen Daseinszuständen ab- jedes ein kleiner
Mikrokosmos. Die "zerbrochenen Krüge", Gefäßskulpturen aus Holz von
Werner Eberle, sind gleichermaßen ästhetisch wie rätselhaft. Bernd Brach
steuert mit einem Objekt seines "Jesusprojekts" den Aspekt der Erlösung
bei. Und Gabrielle Hattesen selbst interpretiert ein Gedicht der
Bürgerrechtlerin Maya Angelou.
Gewicht haben die Arbeiten aus den Beständen der Kunstarche. Existenzielle Fragen berührt KH Buch, Peter Lörincz lässt einer Figur wie im Psalm 69 das Wasser bis zum Hals stehen. Die frühen Blätter und Skulpturen von Thomas Duttenhoefer berühren in ihrem erstarrten Leiden. Bei Felix Hamsvaar, diesem großen Wiesbadener Künstler, Jahrgang 1927, hört man förmlich den Angstschrei des nackten Manns, der eine schlimme Nachricht abwehrt.
Und schließlich gibt es noch jene Blätter von Kokoschka in einem schönen Band, der in einer Vitrine an eine erste Begegnung mit Hiob erinnert.
Eine Arche für die Wiesbadener Kunst
conSens 2/2020 Kultur
Von Anja Baumgart-Pietsch
Eine Arche dient dazu, der Nachwelt etwas zu erhalten: Das kann auch Kunst sein. Und so gründeten drei Wiesbadener Künstler, Johannes Ludwig, Arnold Gorski und Wolf Spemann, im Jahr 2011 den Verein "Kunstarche Wiesbaden", der sich für eine Nachlassverwaltung von Wiesbadner Künstlern einsetzt. Angemessene Räume wurden ihnen 2012 vom Kulturamt der Landeshauptstadt Wiesbaden zur Verfügung gestellt. Der Verein wendet sich an Künstlerinnen und Künstler der Region und deren Erben, aber auch an alle Wiesbadener Kunstinteressierten mit dem Ziel, Nachlässe Wiesbadener Künstlerinnen und Künstler in Obhut zu nehmen, sie angemessen zu verwahren, für die Kunstwissenschaften zugänglich zu halten und in Ausstellungen zu präsentieren, damit das Bewusstsein für künstlerische Aktivitäten in Wiesbaden gepflegt und künftigen Generationen vermittelt werde. Vorsitzende sind die Kunsthistorikerin Felicitas Reusch und der Künstler Bernd Brach.
Gute Kontakte pflegt man nicht nur zum Stadtarchiv - allein der räumlichen Nähe wegen gibt es viele Kooperationen, zum Beispiel bei Ausstellungen - sondern auch zum Stadtmuseum "SAM". Der Verein ist Gründungsmitglied des 2017 gegründeten Bundesverbandes für Künstlernachlässe und bietet seinen Mitgliedern Vorträge, Diskussionen, Fahrten und Kontakten zu Künstlern und Kunstarchiven in anderen Städten an. Zudem wird eine eigene Kunstbuch-Reihe herausgegeben: Der erste Band, erschienen 2013, zeigt den Skulpturengarten von Wolf Spemann, wietere präsentieren die Werke von Christa Moering, Arnold Gorski, des Künstlerpaares Arnold Hensler und Annie Hensler-Möhring und die "Werkkunstschule Wiesbaden" als "legendäre Talentschmieder". Außerdem sind einige Ausstellungskataloge erschienen. Im Fokus steht die reichhaltige und spannende Kunstgeschichte Wiesbadens, auch im Zusammenhang mit den zeitgleichen und intenationalen Strömungen.
"Der Aufbau der Kunstarche macht mir nach wie vor große Freude. Sie wächst und gedeiht, zieht viele Menschen an", sagt Vorsitzende Felicitas Reusch, die vom Kontakt mit den "Gründungsvätern" Ludwig, Gorski und Spemann viel erzählen kann. "Sie haben ein solides Fundament gelegt. Professor Johannes Ludwig ist mittlerweile als Witwer zu seiner Tochter nach Trier ins Seniorenstift gezogen und hat uns deswegen seinen Vorlass übergeben. Wolf Spemann und Arnold Gorski haben das Projekt "Werkkunstschule" vorangetrieben", berichtet sie. "Ausstellung und Katalog wurden ein großer Erfolg und haben viele ehemalige Werkkunstschüler erreicht." Unter Ihnen ist dadurch ein neuer Zusammenhalt enstanden, der unserem 190 Mitglieder zählenden Verein ein Rückgrat gibt. Zwei ehemalige Werkunstschüler, Gottfried Pott und Werner Eberle, engagieren sich für die Kunstarche im Beirat."Aus den Unterrichtsangeboten der Werkkunsschule ensteht die Bandbreite der Sammeltätigkeit des Vereins. Archiviert werden auch Keramiken: "Wir erinnern damit an den Keramik Hype der 50er und 60er Jahre des vorheringen Jahrhunderts", sagt Felicitas Reusch. "Zudem sammeln wir auch Buchillustratoren wie Heiner Rothfuchs, Günther Stiller und Liselotte Schwarz und stellen ihre Werke aus. "Glücklich fügen sich immer wieder Lehrer-Schüler-Begegnungen in der Kunstarche. So archiviert der Maler Bernd Brach den Nachlass seines 2014 verstorbenen Lehrers an der Fachhochschule, Robert Preyer.
Als ganz besondere Freude bezeichnet Felicitas Reusch den Zuschlag der Fotografien von Annie Hensler- Möhring und den Entwürfen ihres Ehemannes, des Bilhauers Arnold Hensler, für die Kunstarche. "Daraus ist mir ein Bildband im Reichert Verlag geglückt, der dieses in Wiesabden fast vergessene Künstlerpaar wieder in Erinnerung bringt. Über das Internet erfuhr eine alte Dame in der Schweiz davon, die uns daraufhin eine Portraitplastik von Arnold Hensler schenkte. Gerade habe ich unseren Hensler-Bestand ans Diözesnmuseum in Limburg ausgeliehen." In Limburg steht Henslers Hauptwerk, die "Kreuzigungsgruppe", auf dem Domherrenfriedhof.
"Unser aktueller Wunsch sind neue Grafikschränke aus Metall. Die Corona-Krise benutzen wir zum Aufräumen",berichtet Felicitas Reusch. Sie lädt alle zum Besuch der regelmäßigen Ausstellungen ein, wenn die Kunstarche nach der Corona-Krise wieder öffnet. Zuletzt gab es Schwerpunktausstellungen zum Wiesbadener Jugendstiljahr, thematische Gruppenausstellungen zu Themen wie "Balance" und "Mutter" und eine Ausstellung der schönen Buchillustrationen von Liselotte Schwarz.
Aktuell sind die Aquarelle des Wiesbadeners
Eberhardt Lellek ausgestellt, der in den 70er Jahren Trickfilmzeichner
beim ZDF war. "In der Kunstarche sind immer Eintritt und Führung frei.
Eine Kunstbibliothek lädt zum Stöbern ein. Senioren sind stets
willkommen. Es gibt keine Schwellen; die Toiletten sind ebenerdig.
Fußgänger sollten den Schildern "Stadtarchiv" folgen."
Empfindsame Bilder einer Stadt
Die Kunstarche zeigt wieder Ausstellungen - mit Aquarellen von Eberhardt Lellek
Wiesbadener Kurier
Von Brigitta Lamparth
Wiesbaden. Er war ein akribischer Chronist seiner Wahlheimat: Ungezählte Bilder widmete Eberhardt Lellek Wiesbaden und Umgebung. Aber der Maler hat auch ein großes Werk an Aquarellen geschaffen, in denen markante Wiesbadener Motive auftauchen. Zu sehen sind sie jetzt in einer Schau, die eigentlich schon im März stattfinden sollte:"Die Ausstellung hängt seitdem- und niemand hat sie bisher gesehen", sagt Felicitas Reusch von der "Kunstarche". Bis jetzt: Bis 14.Juni sind die Werke jetzt im Rad 42 zu sehen, freitags bis sonntags von 15 bis 18 Uhr. Die Besichtigung erfolge vor allem nach telefonischer Anmeldung, sagt Felicitas Reusch:"Wenn jemand aber ohne Anmeldung kommt, geht das auch." Die Kunstarche hält am Eingang Masken parat. Es dürfen jeweils vier Personen in die beiden Räume. Die zum Verkauf stehenden Arbeiten der Ausstellung von Eberhardt Lellek stammen im Wesentlichen aus dem Besitz seiner Tochter: Der 1922 in der Wiesbadener Partnerstadt Breslau geborene Künstler starb 2016 in Wiesbaden. Er kam 1967 in dei Region: Seit dieser Zeit war er Atelierleiter des Trickfilmstudios des ZDF. 1978 begann er wieder zu malen, später auch in seinem Atelier im Kunsthaus. Zahlreiche Einzelausstellungen waren schon in der Stadt zu sehen. Aber noch nie mit seinen Aquarellen - ein empfindliches und konservatives Medium. Bei Lellek ist es in guten Händen: Er hat die spezielle Witterung, das Licht in und über der Stadt sehr empfindsam zu Papier gebracht. Ein gutes Beispiel seiner Kunst ist der Blick über die Dächer von Wiesbaden mit einer leichten Gelbnote. Die Kirchtürme ragen aus einer Dachlandschaft heraus, die diese besondere Stimmung in der Stadt wunderbar gelassen einfängt.
Der Nordfriedhof war ein Treffpunkt
Jugendstilausstellung in der Kunstarche spiegelt das Lebensgefühl um 1900 wider
Wiesbadener Kurier 21.1.2020
Von Christine Dressler
Wiesbaden."Der Jugendstil lässt uns nicht los" heißt die Ausstellung in der Kunstarche mit Bezug zu Wiesbaden. Das Lebensgefühl um 1900 spiegeln fast 100 Exponate wie Grafiken, Aquarelle, Reklamen, Bildtafeln, Bücher, Möbelstücke, Geschirr, Besteck und andere Einrichtungsgegenstände, damalige Fotografien und aktuelle wider. Zum Beispiel Patrick Bäumls Aufnahmen der Grabmäler jeder Jugendstilvariante, dass der Nordfriedhof ein Treffpunkt war. Alte Fotos verewigen dagegen Vergangenes vom Naturtheater bis hin zur Jugendstileinrichtung, die Henry van der Velde komplett für den Opernintendanten und Kunstsammler Kurt von Mutzenbecher schuf. Zu verdanken ist die kontrastreiche Fülle mit noch nie Gezeigtem und Leihgaben auch aus privater Hand drei Wiesbadenerinnen. Die Kuratorinnen, Arche-Leiterin Felicitas Reusch und Jugendstilexpertin Dörte Folkers, inzenierten die Schau mit Stadtarchivleiterin Anjali Pujari, die viele Dokumente wie Baupläne und Grafiken aus der Zeit vor 1909 beisteuerte. Dazu lies das Trio vieles aufarbeiten oder für die Schau fotografieren. Dazu gehöhrt, was 24 Tafeln mit Hintergrunderläuterungen und Objekten in Vitrinen im ersten Saal präsentieren: Gebäude wie das Kurhaus mit Majolika Fliesen, den märchenhaften Wandbildern im Muschelsaal und der Konzertpavillionmuschel, die Kaiser-Friedrich-Therme oder das überbordend luxuriös ausgestattete Palast-Hotel samt erstmals veröffentlichter Akter zu seiner Architektur. Den Wohlstand der Zeit belegen ebenso die Grabmäler und das frühere Jugendstilhotel in der Taunusstraße 46-48. Die Reklamen reichen von Wiesbadener Firmen bei der Weltausstellung in Paris 1900 bis zu Ludwig Hohlweins witzigen Tierannoncen für Henkell-Sekt im Zwischenraum. Das Spektrum im Depotraum belegt breit gefächert, das berühmteste Künstler auch von der Mathildenhöhe Werke für Wiesbadener schufen. Wie stark sie den Jugenstil in der Stadt förderten, erstaunt um so mehr, als der Kaiser Feind des Jugendstils war.